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„Wir sind heute hier, um ihr Leben zu ehren“

Nachfahren der jüdischen Familie Gonsenhäuser aus Berleburg erleben Stolperstein-Verlegung mit

Bad Berleburg. Am 24. September 1942 wurde Auguste Gonsenhäuser, die in den 1920er und 1930er Jahren in Berleburg gelebt hatte, aus Frankfurt deportiert, keine Woche später wie rund 1200 andere verschleppte Jüdinnen und Juden in Estland erschossen und jetzt auf den Tag genau 82 Jahre später wurde ein korrigierter Stolperstein für sie an der Berleburger Jacob-Nolde-Straße verlegt. Das war nötig geworden, weil sich seit der ersten Verlegung 2008 neue Erkenntnisse ergeben hatten. Deshalb wurden nicht nur für Auguste, sondern auch für ihren Ehemann Moritz, ihre Söhne Hans Wolfgang und Werner sowie ihren Stiefsohn Helmut die Stolpersteine ausgetauscht, zudem wurden erstmals Stolpersteine für Käthe und Kurt, zwei weitere Kinder von Moritz, verlegt. Auguste war die Einzige, die ermordet wurde, die übrigen überlebten, weil sie vor den Nazis ins Ausland fliehen konnten.

Und so reisten jetzt Alan Gonsenhauser – die ä-Punkte gingen in den englisch-sprachigen neuen Heimatländern der Gonsenhäuser verloren – und ein Dutzend weiterer Nachfahren der Wittgensteiner aus Boston, Kalifornien und Südafrika in die alte Heimat der Familie, um bei der Stolperstein-Verlegung dabei zu sein. Bei Rikarde Riedesel im Berleburger Rathaus liefen die Fäden für die Feierstunde zur Verlegung der sieben neuen und zwei alten Stolpersteine aus 2008 zusammen. Gestaltet wurde diese von Hauptschülerinnen und -schülern der Berleburger Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule. Sie hatten sich als Neuntklässler im vergangenen Schuljahr unter Anleitung ihrer Lehrerin Ute Bänfer im Fach „Religion“ mit den Stolpersteinen im Allgemeinen und der Familie Gonsenhäuser im Speziellen, die schon im frühen 19. Jahrhundert in Wittgenstein lebte, beschäftigt. Dabei kamen sie auch in Kontakt mit Thomas Kemper, der seinerseits in verschiedenen Archiven ebenfalls auf den Spuren der Gonsenhäuser unterwegs war. Der Schmallenberger erzählte im Unterricht an der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule von der Familie und brachte sogar Videos von den Gonsenhäuser-Nachfahren aus den USA und Südafrika mit.

Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann konnte neben den internationalen Gästen unter den rund 100 Feierstunde-Teilnehmenden Achtklässler der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule, Siebtklässler vom Johannes-Althusius-Gymnasium, viele örtliche Kommunalpolitiker und einige Sängerinnen und Sänger des Chors „Singsation“ begrüßen. Sie unterstützten die älteren Hauptschülerinnen und -schüler an diesem Morgen gesanglich. Zunächst hatten sich die Jugendlichen nicht so recht damit angefreundet, öffentlich zu singen, aber inzwischen seien sie mit Begeisterung dabei, freute sich Ute Bänfer. Und so erklang die traditionelle israelische Friedens- und Abschieds-Hymne „Shalom, haverim“ auf Hebräisch und auf Englisch. Aber das war nicht das einzige Lied.

Abgespielt wurde der Song „Stolpersteine“ des Rappers Trettmann, ein zeitgemäßer Zugang zum schwierigen Thema. Darüberhinaus warfen die Wittgensteiner Jugendlichen für ihre Zuhörerschaft einen genaueren Blick auf bestimmte Jahre in Auguste Gonsenhäusers Leben. Egal, ob die beiden Lieder, das eigentliche Verlegen der Stolpersteine, das Engagement junger Leute, sich mit Menschen zu beschäftigen, die vor Jahrzehnten gestorben sind, oder auch die Übergabe der ausgetauschten Stolpersteine an die Nachfahren aus den USA und Südamerika, der Morgen hielt viele berührende Momente bereit. Darunter auch Alan Gonsenhausers Rede, in der er mit Bezug auf Auguste und die Gonsenhäusers sagte: „Wir sind heute hier, um ihr Leben zu ehren. Wir stellen uns eine bessere Welt vor, in der alle Menschen einander lieben und respektieren, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Nationalität oder ihrer Religion. Wir sind dankbar für die Gelegenheit, in diesem wunderschönen Land zu sein und die Kultur zu erleben, die ein so wichtiger Teil unseres Erbes ist.“ Und das auf den Tag genau 82 Jahre nach der Deportation seiner Großmutter, die keine Woche später tot war und die er deshalb niemals kennenlernen konnte.

Text: Jens Gesper

Die komplette Rede von Alan Gonsenhauser gibt es hier.
Die Begrüßungs-Ansprache von Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann gibt es hier.
Die Präsentation der Jugendlichen von der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule gibt es hier.
Das YouTube-Video zu Trettmanns Song „Stolpersteine“ gibt es hier.

Alan Gonsenhauser (rechts) freute sich, dass sich Jugendliche der Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Schule unter der Anleitung von Ute Bänfer (Dritte von rechts) mit dem Leben der jüdischen Familie Gonsenhäuser intensiv beschäftigt hatten. (Foto: Jens Gesper)
Neun Stolpersteine verlegte Mika Lauber als Auszubildender der Stadt Bad Berleburg jetzt an der örtlichen Jacob-Nolde-Straße. (Foto: Jens Gesper)
Auguste stand auf den Armbändern, die alle Jugendlichen der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule geschenkt bekamen, die sich in der neunten Klasse in dem Fach „Religion“ intensiv mit den Berleburger Stolpersteinen und der Familie Gonsenhäuser beschäftigt hatten. (Foto: Jens Gesper)
Außer für Bernd Fuhrmann (Zweiter von links) und für Thomas Kemper (Zweiter von rechts) lagen die familiären Wurzeln aller Menschen auf dem Bild in eben diesem Haus an der Berleburger Jacob-Nolde-Straße. (Foto: Jens Gesper)
Sieben nagelneue und zwei alte Stolpersteine erinnern jetzt an die Gonsenhäuser-Familie, die, nachdem sie schon im frühen 19. Jahrhundert in Wittgenstein gelebt hatte, von den Nazis aus Berleburg vertrieben wurde. (Foto: Jens Gesper)

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