Ruth Bayer sprach vor Lachsbachschul-Klasse, Otto Düsberg bei Städtischen Gymnasiasten in Bad Laasphe
Bad Laasphe. Er sei damals vier Jahre alt gewesen, erinnerte sich am Donnerstag der 89-jährige Otto Düsberg vor rund 50 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe Zehn am Städtischen Gymnasium Bad Laasphe. 1939 wollte ein verzweifelter jüdischer Viehhändler aus Laasphe Otto Düsbergs Vater ein Rind verkaufen, er brauchte unbedingt Geld, damit seine Kinder aus Nazi-Deutschland fliehen konnten. Als der Viehhändler Düsbergs Bauernhof verlassen hatte, holte der kleine Otto ein Tuch, um den Türgriff abzuwischen, den der „dreckige Jude“ angefasst habe. Mit diesen Worten erklärte das Nesthäkchen damals seiner entgeisterten Familie die Handlung. Dem früheren Laaspher Bürgermeister fiel es nicht leicht, diese Erinnerung zu erzählen. Doch war sie ihm wichtig, weil sie zeigt, wie staatlich organisierte Menschenverachtung sogar den Geist eines Kindes vergiftet.
Anlass für Otto Düsbergs Einladung ins Gymnasium war der 80. Jahrestag des Weltkriegs-Endes. Er sei damals vor allem traurig gewesen, dass Deutschland den Krieg verloren und er es als Neunjähriger nicht in die Hitler-Jugend geschafft hatte. Die war ab 14, sogar fürs Deutsche Jungvolk der Zehn- bis 14-Jährigen war er zu jung gewesen. Akribisch hatten Christina Kaiser und Christoph Achenbach im Unterricht mit den Zehntklässlerinnen und Zehntklässlern für die kombinierte Geschichts- und Politik-Stunde einen Fragenkatalog vorbereitet. Ergänzt wurde der durch spontane Nachfragen aus der Gruppe. So erfuhren die Jugendlichen etwas über die langen Reden von Otto Düsbergs Schulleiter an Adolf Hitlers Geburtstag, einen deutschen Deserteur und einen französischen Zwangsarbeiter auf Düsbergs Bauernhof, der am Ende zu Laasphes Städtepartnerschaft mit Châteauneuf-sur-Loire führte. Und über die persönliche Begegnung 1988 von Otto Düsberg mit einem Sohn des jüdischen Viehhändlers, der damals zu einem Freund geworden sei. Für ihn sei es in seinem Leben wichtig gewesen, dass er ein politisches Bewusstsein entwickelt habe. Seine jungen Zuhörenden ermutigte der Laaspher, sie mögen interessiert und offen bleiben, sie mögen sich informieren und Gehörtes kritisch prüfen.
Der Freundeskreis für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Bad Laasphe hatte nicht nur diesen Besuch vermittelt. Am gleichen Morgen war auch die 94-jährige Ruth Bayer zu Gast in der Schule. Sie berichtete im Geschichts-Unterricht der Klassen Neun und Zehn der Laaspher Lachsbach-Förderschule von ihren Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und ihr späteres Leben. Die Laaspherin schilderte, wie sie als Neunjährige unbedingt Hitler sehen wollte, wie sie vielleicht als Mädchen sogar in den Führer verliebt war. Verstehen konnte sie die damalige Verblendung heute nicht mehr: weil ihr älterer Bruder im Krieg starb, weil sie ihre schlesische Heimat durch Hitlers Krieg verlor. Die Politik war ihr anschießend zunächst egal. Geändert habe sich das 1962, als sie mit ihrem Sohn bei einer großen amerikanischen Militär-Übung in Laasphe gewesen sei.
Danach habe sie sich für Politik interessiert. Sie wurde eine leidenschaftliche Kämpferin für den Frieden, eine Pazifistin, wie sie ihren 14 jungen Zuhörenden erklärte. Außerdem war sie die erste Frau im Laaspher Stadtrat, wo die heimische Politik ihre Entscheidungen für Bad Laasphe und seine 21 Ortschaften trifft. Nach ihrem langen ehrenamtlichen Einsatz weiß sie, dass Politik immer eine schwierige Sache ist, auch weil man oft Kompromisse schließen muss. Denn die Menschen haben unterschiedliche Interessen, sie wollen verschiedene Ziele erreichen. Aber, wie sagte Ruth Bayer: „Wir leben ja Gott sei Dank in einer Demokratie, da muss sich jeder einbringen, da muss jeder mitarbeiten.“ Die Lachsbach-Schülerinnen und -Schüler hatten sich auf den Besuch gut vorbreitet, fragten konkret nach der Reichspogromnacht und kannten sich sogar mit den Stolpersteinen aus. Und sie werden sich mit dem Thema weiter im Unterricht beschäftigen. Lehrerin Nina Bamberger freute sich, dass ihr Ruth Bayers Besuch nochmal spannende Ansatzpunkte geliefert habe.
Text und Fotos: Jens Gesper